Steinmeiers gerbochenes Herz

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Ich bin, sicherlich mehr als Steinmeier, Opfer des Krieges:

1942 im Krieg geboren, als 5. von sechs Kindern, des kurz vor Kriegsende noch gefallenen Vaters, der trotz seines Berufs als Rechtsanwalt und Notar an allen Kriegsschauplätzen teilnehmen musste.

Die Mutter musste mit den sechs Kindern unter unsäglichen Schwierigkeiten aus Oberschlesien flüchten. Sie hat, wie unzählige deutsche Frauen, zum Kriegsende schwerste Demütigungen erdulden müssen. Eine meiner Großmütter starb unmittelbar nach der Flucht im Lager.

In meinem 3. Lebensjahr hatte ich einen aufgedunsenen Bauch, Hungerrachitis genannt, ein früher „Gnaden“-Tod war vorhergesagt.

Trotzdem: Ich liebe Deutschland – mit vollem – nicht mit gebrochenem Herzen, wie der Herr Bundespräsident! Ich liebe dieses Deutschland, das der Menschheit so unendlich viel in Wissenschaft, Dichtung, Baukunst und Technik, sowie ursprünglicher Glaubensstärke, gegeben hat. Ich liebe dieses Land, das einschließlich der Wirren des Mittelalters und des furchtbaren Dreißigjährigen Krieges, der napoleonischen Eroberungen und zwei schrecklichen Weltkriegen u. a. gelitten und immer wieder um sein Selbstverständnis gerungen hat und ich liebe es mit offenem Herzen, auch wenn jetzt, im Zeichen der Anordnungen widersinniger und überhetzter politischer Maßnahmen seinen Willen zur Freiheit zu verlieren scheint.

Ich liebe Deutschland, auch wenn Ausschwitz zu seiner Vergangenheit gehört und ich halte mich an das Bibelwort im Buch Moses, in dem es heißt:

Die Söhne haften nicht für die Sünden der Väter!

Meinem Vater einen Vorwurf zu machen, dass er für sein „Vaterland“ gekämpft hat, fällt mir schon deshalb schwer, weil, wie unser erster Bundespräsident, Theodor Heuss, einmal sagte, der Nationalsozialismus seine Wiege in „Versailles“ hatte, d h. dass es einen 2. Weltkrieg nicht ohne den 1. gegeben hätte – und der erste Weltkrieg nicht in erster Linie durch das Deutsche Reich „angezettelt“ wurde, sondern vielmehr mit den Vorbereitungen der Britischen Öffentlichkeit und dem flammenden „Germaniam esse delendam“ in der Britischen Tageszeitung „DailyMirror“ mit einer Auflage von ca. 7 Mio. jeden Tag, schon ab 1886!

Ich liebe Deutschland, auch wenn es in der Geschichte viele Fehler und schwerste Sünden begangenen haben mag – und wundere mich, wie versessen die Deutschen in den letzten ca. 20 Jahren auf ihre ewigen Schuldbekenntnisse sind. Die große, auch Bayreuther, Sängerin Astrid Varnay hat in ihren Lebenserinnerungen berichtet, dass ihr London vom Deutschen Luftkrieg schwer beschädigt, Berlin hingegen ausradiert erschienen sei. Es gilt, die ungeheuere Aufbauleistung der Deutschen aus dieser „Stunde Null“ angemessen zu würdigen, die in der Tat ein echtes Wunder vollbracht und sich aus dem Dunkel der Geschichte – mit unendlichen Mühen – wieder empor gearbeitet haben.

Vielleicht kann ich mit diesem Leserbrief einen Anstoß für eine faire Diskussion um das „gebrochene Herz des Bundespräsidenten“ geben.

 

Ortwin Lowack

- 15.05.2020 -

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